Hinter der Fassade

Belfortstraße 17

Freiburg, 1870er: Was heute als Stadtzentrum gilt, war vor 150 Jahren noch Stadtrand. Die zunehmende Freiburger Bevölkerung verlangte jedoch damals wie heute dasselbe: Wohnraum. Bürgerliche Wohnhäuser schlossen schon bald die Lücke zwischen Stadtkern und dem industriell geprägten Dreieck zwischen Bahnlinie und Dreisam. Das heute denkmalgeschützte Gebäude der Belfortstraße 17 überstand den Bombenangriff des 27. November 1944, bei dem die Freiburger Innenstadt größtenteils zerstört wurde. Der ehemals an Pferdekutschen angepasste Toreingang bot schon bald Zugang zu einem Hinter- und Seitenanbau, die den verborgenen Innenhof einrahmten. Der Gebäudekomplex beherbergte in den letzten 150 Jahren eine Vielzahl an Bewohner*innen.

Aktuelles Foto des Hauses Belfortstraße 17.
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Familie Sommer

Der erste Eigentümer des Hauses war Rudolf Köhler, ein Maurermeister, der das Haus wohl auch selbst erbaut hatte. Nachdem er das Gebäude verkauft hatte, befand sich die Belfortstraße 17 von ca. 1880 bis 1911 im Besitz der jüdischen Familie Sommer. Feist Sommer prägte als Kantor, Schächter und Lehrer der jüdischen Gemeinde das Freiburger Geschehen im religiösen sowie kaufmännischen Bereich. Die Lage zwischen Synagoge und Schlachthof war dafür ideal und zeigt die Attraktivität des Quartiers für Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Sommer führte zugleich ein Gemeindelokal im Gebäude der Belfortstraße 17.

Seine Söhne, Siegfried (1872-1941) und Simon Sommer (1876-1947), leiteten eine vom Vater gegründete Zigarrenfabrik in Zähringen, die Belfortstraße diente teilweise als Lager und Verkaufsstelle. Simon Sommer betrieb später seinen Zigarrenladen in der Kaiserstraße 7, direkt in der Innenstadt. Seine Geschäftsadresse musste er ab 1935 in Adolf-Hitler-Straße ändern. Diesen Namen trug die heutige Kaiser-Joseph-Straße bis 1945. Durch die zunehmende antisemitische Politik sahen sich Simon und seine Frau Robertine Sommer 1939 gezwungen, Freiburg zu verlassen. Die bis dato wohlhabende Familie musste ihre Besitztümer unter Wert verkaufen. Die Enteignungsmaßnahmen und die Kosten der Flucht (nach Frankreich und schließlich in die Schweiz) raubten den Sommers ihre finanziellen Mittel. Es war eines von ungefähr 13 jüdischen Unternehmen im Viertel, denen es so erging.

Nach Simon Sommers Tod in Genf wanderte seine Frau nach New York aus. Von dort aus leitete sie später Restitutionsklagen ein. Sie verstarb 1977.

Der in Freiburg verbliebene Siegfried Sommer wurde 1940 nach Gurs deportiert und starb im Lager Récébédou. Über das Schicksal Linas, der Tochter von Simon und Robertine Sommer, ist nichts bekannt. Der später eingerichtete Stolperstein gedenkt Rosa Mayer, welche eigentlich in der Belfortstr. 19 wohnte. Da die Familie Sommer von der Belfortstraße 17 in andere Häuser umgezogen war und später durch die Flucht und Deportation verstreut wurde, ist vor dem Haus an der Belfortstraße 17 kein Stolperstein für sie angebracht.

Wohnen und Arbeiten in der Belfortstraße 17

Die Nähe zur Innenstadt, zum Theater, zum Bahnhof und zu den damaligen Fabriken im Grün machte die Belfortstraße 17 zu einem attraktiven Wohnort für Sebstständige bzw. Werkstattbesitzer. So lebten mehrere Personen, die am Theater in Freiburg arbeiteten, in diesem Haus. Es wird angenommen, dass Arbeiter*innen der Fabriken im Grün ebenfalls in diesem Haus wohnten. So befanden sich in den vergangenen 150 Jahren zahlreiche Berufsgruppen und Werkstätten in der Belfortstr. 17. Im Vorder-, Hinter- und Seitenhaus befanden sich neben Wohnungen auch Arbeitsräume. Sie wurden unter anderem als Malerwerkstatt, Galvanisierunganstalt, Buchdruckerei, Blechnerei, Wäscherei, Schuhmacherei, Schreinerei, Damenschneiderei, Maschinenschlosserei, Goldschmiede, Zigarrenlager, Buchbinderei, Schriftsetzerei und Praxis für Physiotherapie genutzt. Mit der zentralen Lage geht auch Lärm durch Autos sowie durch das Tag- und Nachtleben einher und ist fester Bestandteil des Alltags für die Bewohner*innen im Vorderhaus.

Wohnungsmangel

Aufgrund des Wohnraummangels ist heute das Haus fast komplett zu Wohnungen ausgebaut, es gibt keine Werkstätten mehr. Bis auf einen kleinen unbebauten Innenhof wird jeder Gebäudeteil als Wohn- oder Geschäftsraum genutzt. In den 1990er Jahren wurde das Gebäude umfassend ausgebaut und kernsaniert. Auch der ehemalige Dachboden ist zu einer Wohnung umgebaut und darauf eine Dachterrasse angelegt worden. Im Zuge dieses Umbaus wurde das Haus in einzelne Parzellen aufgeteilt. Damit verfügen heute eine Vielzahl von Wohnungseigentümer*innen über das Gebäude. Seine zentrale Lage und die Nähe zum Bahnhof macht es nicht nur für Bewohner*innen, sondern auch für Touristen*innen attraktiv. Eine Ferienwohnung ermöglicht heute Gästen aus aller Welt den Aufenthalt in einer Freiburger Altbauwohnung.