Der Freiheit eine Gasse ?

Spechtpassage

1897-98 entstand neben dem vom Weinhändler und Reichstagsabgeordneten Joseph Hebting (1822-1888) erbauten Weinschlösschen ein neues Anwesen: ein vierstöckiges Wohnhaus mit langgestreckten, bis zur Schnewlinstraße reichenden Remisen und Lagergebäuden. Erstbezieherin und Besitzerin war die Kohlenhandlung Welle. Weitere Unternehmen, für die die Güterbahnanbindung attraktiv war, zogen ein: Weinhandel, Brauereiniederlassung, Flaschenhandel. Als 1905 der Güterbahnhof verlegt wurde, zog das Hauptlager der Kohlenhandlung in die neue Zollhallenstraße im Stadteil Brühl. Doch die Wohnung und Teile des Handels blieben. 1916 übernahm der Kohlen- und Brennstoffhändler Bernhard Specht die gesamte Passage. Nach ihm ist sie noch heute benannt, auch wenn seitdem viel geschehen ist.

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Kohlehandlung & Vermietungen

Die Firma Specht wurde jahrzehntelang als Familienbetrieb geführt. Neben dem Brennstoffhandel vermietete sie nicht selbst benötigte Räume an wechselnde Mieter*innen und Betriebe. Darunter auch an Ernst Blum (Brauereiartikel und Eisschränke, 1920-1926) und Julius Haas (Bezirksdirektor der Iduna Versicherungen, 1919-1933). Beide Schriftzüge sind noch heute am Gebäude sichtbar. Haas (1874-1942) musste seine Tätigkeit auf Druck der Nazis 1933 aufgeben und seine Wohnung in der Wilhelmstraße 15 verlassen. Er wurde zusammen mit den meisten Jüdinnen und Juden Freiburgs am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert und ermordet. Vor seinem letzten Wohnhaus in der Schillerstraße 42 erinnert ein Stolperstein an ihn und seine Frau Berta (1883-1943).

Neue Betriebe & große Träume

Der Familienbetrieb wurde auch nach dem Tode Bernhard Spechts Mitte der 1950er Jahre in gewohnter Art und Weise weiter geführt. Bedar f an Heizmaterial und an mietbaren Geschäftsräumen für andere Betriebe gab es in der zerstörten Stadt genug. Doch zum Ende der 1970er Jahre neigte sich die Zeit des innerstädtischen Brennstoffhandels ihrem Ende zu. Neue Zentralheizungen mit Heizöl oder Gas ersetzten die Kohleöfen und die lokale Energieversorgung gleich mit. Zudem wurde es für die Firma Specht immer schwieriger, Mieter*innen für das renovierungsbedür ftige Anwesen zu finden. Nun schlug die Stunde der „Alternativen“. Schon zur Mitte der 1970er Jahre hatte Kurt Specht den Laden im Erdgeschoss der Wilhelmstraße 15 an die politische Buchhandlung jos fritz vermietet. Bald folgten in der Passage Druckwerkstatt, Töpferei, Auto- und Fahrradschrauber und das Café. Als die Spechts schließlich verkaufen mussten, träumten diese Mieter*innen: „Der Freiheit eine Gasse.“

Der Coup

1984 stand die Familie Specht vor dem Konkurs und suchte einen Käufer für ihr Anwesen. Eine Gruppe aus den Alternativbetrieben der Passage bemühte sich um die Finanzierung und initiierte eine Werbekampagne. Doch der Stadt Freiburg, die über ein Vorkaufsrecht ver fügte, war ein (weiteres) renitentes Alternativprojekt im Sanierungsgebiet Im Grün ein Dorn im Auge. Der Kauf gelang schließlich mit einer List:
In Oberkirch wurde eine Strohfirma der Mieter*innen gegründet, die, von der Stadt unbehelligt, den Kauf der Immobilien tätigen konnte. Mit Geldern einer alternativen Stiftung und der Gründung einer basisdemokratischen Kommanditgesellschaft konnte die Spechtpassage 1986 für 1,5 Millionen DM erworben werden.

Eine freie Gasse im Gentrifizierungsviertel?

Statt der ersehnten Freiheit brachen bald Konflikte auf. Damit ging die Spechtpassage den Weg vieler Alternativprojekte, in denen nach Kauf und Selbstverwaltung interne Verwerfungen die einst großen Pläne überlagerten. Auf den regelmäßigen Treffen standen sich bald zwei Fraktionen gegenüber: Eine Seite vertrat die behutsame Sanierung des Bestandes, eine andere betrachtete den raschen Abriss des Kopfbaus in der Schnewlinstraße und dessen Ersetzung durch einen Neubau als wirtschaftliche Notwendigkeit. Die Eigentumsverhältnisse der Kommanditgesellschaft änderten sich im Laufe der Zeit durch Verkäufe und Ankäufe von Anteilen. Doch mit diesen waren auch Stimmrechte innerhalb der Selbstverwaltung verbunden. Als sich die Mehrheitsverhältnisse mit den Anteilsverkäufen verschoben, war der Konflikt entschieden. Ein Brand im Torbau zur Schnewlinstraße machte schließlich den Weg frei für Abriss (2001) und Neubau (2006).

Seitdem sind zahlreiche Mieter*innen ausgezogen. Aus der Anfangszeit blieben der jos fritz Buchladen und das gleichnamige Café. Auch im Gebäude Wilhelmstraße 15 wurde die Wohnstruktur verändert. Statt an kollektive Wohngemeinschaften werden Zimmer nun meist einzeln an Studierende vermietet – zu hochpreisigen Mieten des teuer gewordenen Quartiers. Schonungslos bilanziert die Webseite der Spechtpassage: “Das ursprüngliche Konzept von zusammen leben und arbeiten ist vollständig gescheitert. „Alternativ“ war die Spechtpassage nie. Was hierbei wirtschaftlichen Zwängen oder unüberbrückbaren persönlichen Differenzen zuzurechnen ist, bleibt offen.” [1] Konflikte dieser Art wurden keinesfalls nur in Freiburg geführt. Aus ihnen erwuchs die Frage, wie Eigentumsverhältnisse von alternativen Mietshausprojekten besser von ihrer demokratischen Selbstverwaltung getrennt werden können. Heute gibt es dafür erprobte Modelle wie zum Beispiel das Mietshäuser Syndikat.

[1] https://spechtpassage.de/passage/alternativwirtschaft-in-freiburg-neu/7/