Von der Hegarklinik zum Hegarhaus

Wilhelmstraße 10

Das Gebäude Wilhelmstraße 10 wurde erstmals 1874 erbaut und bereits 1911 wieder für die noch heute ansässige Bebauung abgerissen. Wechselnde Nutzungen prägten diese erste Phase der Hausgeschichte. 1912 errichteten die Gynäkologen Karl und Alfred Hegar an seiner Stelle eine private Geburtsklinik. Auch nach dessen Aufgabe im Jahr 1993 dient das denkmalgeschützte Gebäude medizinischen Zwecken. So befindet sich neben einem Anwaltsbüro auch eine Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie und eine Praxisgemeinschaft für Allgemeinmedizin im Hegarhaus. Doch sein Name sorgte in den vergangenen Jahren für Debatten.

Aktuelles Foto des Hauses Wilhelmstraße 10.
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Ein Haus der Wissenschaft und Kunst

Erstmals bebaut wurde das Grundstück im Jahre 1874 durch den praktischen Arzt Dr. J. Müller, der dort seinen Alterssitz bezog. Nach seinem Tod erwarb der Verlagsbuchhändler Paul Siebeck (1855-1920) das Gebäude und führte dort zwischen 1881 und 1885 eine akademische Verlagsbuchhandlung. Der Tübinger Buchhändler Siebeck hatte 1878 den Heidelberger Traditionsverlag J.C.B. Mohr erworben und war mit dessen Programm nach Freiburg gezogen. Dort gestaltete er ihn in einen wissenschaftlichen Fachverlag um. Als Schwerpunkte wählte er die Bereiche Theologie, Soziologie, Philosophie, Ökonomie und Jura. Doch der Verlag blieb nicht lange in Freiburg. Nach einem Intermezzo in der Stadtstraße (1886-1899) kehrte Siebeck nach Tübingen zurück, wo der Verlag bis heute seinen Sitz hat.

Das Haus blieb auch nach Siebecks Wegzug eine Adresse der Wissenschaft und der Kunst. So lebten dort 1886-1901 der Kunsthistoriker Franz Xaver Kraus (1840-1901), 1902–1903 der Kirchenhistoriker Albert Ehrhardt (1862-1940) und 1904/1905 der Chemiker Josef Tscherniac (1851-1928) bzw. noch bis 1911 Mitglieder seiner Familie. Zwischen 1906 und 1910 beherbergte es zudem den Vorläufer der Freiburger Musikhochschule, das Freiburger Musikkonservatorium unter Leitung des Pianisten Carlo del Grande (1867-19??). Der Abriss der ursprünglichen Bebauung im Jahre 1911 beendete diese Phase.

Eine Geburtsklinik für Freiburg

1912 ließ der Gynäkologe Alfred Hegar (1830-1914) eine private Geburtsklinik erbauen, die er zusammen mit seinem Sohn Karl (1873-1952) eröffnete. Doch die Anfangszeit gestaltete sich schwierig. Der baldige Tod Alfreds, der Kriegsdienst Karls (1914-1916) und die kriegsbedingte Umnutzung als chirurgische Klinik standen Alfred Hegars Idee einer Entbindungsklinik in einem eignes dafür errichteten Haus entgegen. So konnte die Privatentbindungsanstalt und Frauenklinik von Prof. Dr. Karl Hegar erst 1919 ihren dauerhaften Betrieb aufnehmen. Auch im Zweiten Weltkrieg wurde sie zwischenzeitlich als Lazarett genutzt. Anschließend übernahm sie die französische Besatzung, wobei die ärztliche Versorgung nur französischen Frauen vorbehalten war. Später betrieb Karl Hegar seine Klinik wieder selbst und führte sie bis zu seinem Tod 1952. Es folgte die Verpachtung durch die Erben an wechselnde Ärzt*innen.

Die Epoche der Geburtsklinik beendete Udo Hegar, ein Enkel des Klinikgründers Karl. Er hatte sie 1983 übernommen, weil er in der besonderen Atmosphäre einen Kompromiss zwischen Hausgeburt und der Geburt in einem großen Krankenhaus sah. Noch 1992 waren so 400 Kinder zur Welt gekommen und 800 gynäkologische Eingriffe vorgenommen worden. Dennoch ließ sich die Klinik nicht mehr wirtschaftlich betreiben. Sie wurde 1993 geschlossen und das Gebäude 1994 verkauft.

Ein Name sorgt für Debatten

Im Zuge der Überprüfung von Straßen mit historisch problematischen Namen wurde auch die Rolle Alfred Hegars diskutiert. Eine nach ihm benannte Straße im Stühlinger wurde 2018 „aufgrund seiner Befürwortung und Verbreitung einer negativen rassehygienisch begründeten Erbgesundheitslehre“ [1] umbenannt. In diesem Sinne war auch Karl Hegar aktiv gewesen. Kann unter diesen Umständen die 1994 er folgte Umbenennung der Hegar-Klinik in Hegarhaus Bestand haben? Die Eigentümer*innen haben diese Frage intensiv diskutiert und gehen mit einer Plakette im Eingangsbereich der Wilhelmstraße 10 auf die schwierige Geschichte der Klinikgründer ein. Als unproblematischen Namenspatron verweisen sie unter anderem auf den letzten Klinikleiter: den Humanisten und Friedensaktivisten Udo Hegar.

[1] Erläuterung zur Umbenennung am Straßenschild der Freiburger Hilde-Mangold-Straße.