Was ist das 'gute Leben'?

Was hat eine Pelikanfigur mit einer Hundeleine, was ein Wasserkocher mit einer Postkarte zu tun? Die hier versammelten Objekte sind Sinnbilder, Bausteine oder Erinnerungsobjekte des „guten Lebens“ von Menschen, die uns bei der Erforschung alltäglicher Aushandlungen von Glück und Moral begegnet sind. Sitzecke und Armband, Rucksack und Malzbier erzählen vom Suchen und Finden verschiedenster „Forme(l)n des guten Lebens“.

Wie lebe ich ‚gut‘? Wie lebe ich ‚richtig‘? Und was brauche ich dafür? Ist ein glückliches Leben auch ein richtiges Leben? Und wer entscheidet darüber, in wessen Namen und von welchem Standpunkt?

Solche Fragen sind nicht alleinige Angelegenheit von Philosoph*innen; im Gegenteil: Fragen wie „Wie sollen/können/dürfen/müssen wir leben?“ sind allgegenwärtig – und genau deshalb rücken sie zunehmend in den Fokus der Forschung in der Empirischen Kulturwissenschaft. Diese will und kann keine allgemeinen Forme(l)n liefern, was „gut“, was „richtig“ ist. Denn das ‚gute Leben‘ ist nicht etwas, das wir haben, es ist etwas, das wir tun – kuratieren und stilisieren, teilen und für einander da sein, warten und hoffen oder erdulden. Das „gute Leben“ wird also hergestellt im Wechselspiel zwischen individuellem Glück und überindividuellen moralischen Ordnungen. Dabei ist die Herstellung eingebettet in gesellschaftlich vermittelte Vorstellungen und Erwartungen des „Guten“ und „Richtigen“. Somit ist ein ‚gutes Leben‘ zu führen abhängig von unterschiedlichsten und ungleich verteilten sozialen, kulturellen und materiellen Bedingungen.

Die „Forme(l)n des guten Lebens“, die die Akteur*innen unserer Forschungsfelder ent- oder verwerfen sind das Ergebnis komplexer und konflikthafter, alltäglicher Aushandlungen, die zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und Zwängen sowie individuellen Wünschen und Vorstellungen zu vermitteln suchen.  Diese Onlineausstellung soll die Vielfältigkeit, Kompliziertheit und Alltäglichkeit dieser Aushandlungen sichtbar und erfahrbar machen.

Vorstellungen

Herstellungen

Bedingungen

Welche Werte beeinflussen unsere Vorstellungen, Herstellungen und Bedingungen eines 'guten Lebens'?

Es sind nicht nur unsere Vorstellungen, Herstellungen und Bedingungen, die unsere Perspektive auf ein ‚gutes Leben‘ beeinflussen. Auch Werte, die wir haben oder mit denen wir konfrontiert sind, nehmen Einfluss auf unser ‚gutes Leben‘. In den verschiedenen Forschungsfeldern sind uns drei Werte als besonders häufig und wichtig aufgefallen.

Klicken Sie auf die Buttons in der Mitte oder hier auf die Begriffe, um mehr über drei dieser Werte zu erfahren: FreiheitMiteinanderSicherheit

Über uns

Das diesjährige Studienprojekt des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft (EKW) Tübingen beschäftigt sich mit dem ‚guten Leben.‘ Angeleitet von Jan Hinrichsen und Monique Scheer setzten wir uns drei Semester lang mit verschiedenen Feldern der Alltagskultur auseinander, in denen das Gute und das Glück gesucht, gefunden, verhandelt und hergestellt wird.

Ella Detscher, 
Sarah Fritschi-Keck, Stefanie Heider, Sandra Maier,
Marvin Michaelis, Verena Plath,
Rebekka Schlee, Nathalie Steffan, Pauline Suaznabar-Mendoza,
Ophelia-Lauren Weyers,
Annika Weisshaar

Unser Buch zum Projekt

Neben dieser Online-Ausstellung ist im Dezember 2019 unser Sammelband zum Studienprojekt „Forme(l)n des guten Lebens. Ethnografische Erkundungen alltäglicher Aushandlungen von Glück und Moral“ im EKW-Verlag (Tübinger Vereinigung für Empirische Kulturwissenschaft e. V., vormals TVV) erschienen.

Unsere Partner*innen und Sponsor*innen

Vielen Dank für die Unterstützung und Zusammenarbeit.

Corporate Design: Thuy-Van Nguyen-Khanh. E-Mail: hello@thuyvan.de

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Wollarmband. Privatbesitz, 2019.

Solch ein Band bekommt man sowohl am Anfang als auch am Ende einer Yogaausbildung. Man belegt es mit einer eigenen Intension für die kommende Zeit. Das abgebildete Band war ein Geschenk eines Interviewpartners, das er mir gab, damit ich es mit meiner eigenen Intension besetzen kann. Er ist Yogalehrer und hat damit sowohl einen sportlichen als auch einen spirituellen Beruf gewählt.

Welche Anreize gibt es eine Ausbildung zum/ zur Yogalehrer*in zu machen und welche persönlichen positiven Veränderungen ergaben sich daraus für das ‚gute Leben‘?

Wasserkocher. Einrichtung für Wohnungslose in Baden-Württemberg, 2019.

Dieser Wasserkocher ist in einer baden-württembergischen Tageseinrichtung für Wohnungslose im Einsatz. Die Mitarbeitenden dort füllen ihn mit Wasser, um Tee für die Gäste zu kochen. Bis diese ihn trinken können, müssen sie warten. Diese Situation scheint zunächst alltäglich. Doch für wohnungslose Menschen ist das Warten auf Teewasser eines der wenigen Dinge, auf die sie sich verlassen können.

Wie verändert sich die Bedeutung des Wartens in der Wohnungslosigkeit?

Begleitheft zur Trauerfeier. Privatbesitz, 2019.

Dieses Begleitheft einer Trauerfeier befindet sich immer sichtbar im Zimmer seines Besitzers. Er möchte es stets um sich haben: Einerseits, weil es ihn an seinen verstorbenen Mitbewohner erinnert. Andererseits wird ihm dadurch immer wieder aufs Neue seine eigene Sterblichkeit bewusst. Für ihn ist dieses Bewusstwerden ein wichtiger Bestandteil eines ‚gut‘ geführten Lebens.

Wie passt das Sterben zu einem guten Leben?

Rucksack. Privatbesitz, 2019.

Patrick* hat für seinen Rucksack keine Verwendung mehr, deshalb möchte er ihn spenden oder verschenken. Der Rucksack hat zu wenig Platz, zu wenig Fächer und ist nicht multifunktional. „Mein Ziel ist, für alles einen Platz zu haben. Ich gehe gerne wandern und wenn ich meinen Rucksack packe, dann weiß ich, wo alles ist und jede Sache hat seinen Zweck.“

Was verbindet einen Rucksack mit Minimalismus und dem Streben nach einem freien Leben?

* Bei dem Namen handelt es sich um ein Pseudonym.

Postkarte. Privatbesitz, 2008.

Zufällig fand die Krankenschwester Linda* diese Postkarte nach zwei Jahren verschüttet in ihrem Postfach. Es war ein Liebesbrief von der Tochter eines verstorbenen Patienten. Linda hatte sich schon einige Male in Frauen verliebt, lebte jedoch zu dem Zeitpunkt mit Mann und Kindern. Sie wahrte das Bild einer glücklichen Familie. Kurz darauf wurden die beiden Frauen ein Paar.

Was bewegt lesbische Frauen dazu ihr Leben durch ein Coming-out auf den Kopf zu stellen – oder es bleiben zu lassen?

*Bei dem Namen handelt es sich um ein Pseudonym.

Schleichtierpelikan. Privatbesitz, 2018.

Dieser Pelikan ist ein Geschenk von Leas* Freundin. Er ist das Freundschaftssymbol der beiden. Nachdem sie in einem Lied, das sie oft gemeinsam hörten, auf den Vogel aufmerksam wurden, erkundigten sie sich nach seiner Bedeutung. Als erhabenes, aufopferungsvolles Tier begleitet der Pelikan seitdem ihre Freundschaft in Form von Ketten, Figuren oder einem Instagram-Account, den sie für einen Stofftierpelikan einrichteten.

Welche Vorstellungen von Freundschaft liegen hinter solchen Praktiken und wie äußern sich diese in unserem Alltag?

* Bei dem Namen handelt es sich um ein Pseudonym.

Smartphone. Privatbesitz, 2019.

Über Smartphones können überall auf der Youtube-App Motivationsvideos angesehen werden. Diese funktionieren wie „Crashkurse“ für ein glücklicheres Leben. Mit dem Smartphone ist das Prinzip Motivation stets to go erhältlich und der Wunsch nach einem motivierten, glücklichen Leben im hektischen Alltag stets greifbar.

Ist ein motiviertes Leben auch ein ‚gutes Leben‘?

Hundeleine. Privatbesitz, 2019.

Diese Hundeleine vereint durch eine verstellbare Schlaufe Leine und Halsband. Für die Besitzerin Mia und ihren Menschen Philipp ist diese Leine praktisch, weil sie schnell über- und wieder ausgezogen werden kann und Mia so meistens ohne separates Halsband rumlaufen kann.

Was sagt diese Hundeleine über das ‚gute Leben‘ in artübergreifenden Beziehungen zwischen Menschen und Hunden aus?

Brezelsäckchen. Privatbesitz, 2019.

In diesem bunten, mit Stempeln verzierten Säckchen kann eine Brezel verstaut werden. Das Brezelsäckchen entstand bei einem Sommerfest eines Mehrgenerationenhauses. Es wurde an einem großen, runden Tisch an einer der Bastelstationen für Kinder gestaltet. Während des Fests hatte jede*r die Möglichkeit mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen.

Welche Möglichkeiten bietet das Mehrgenerationenhaus für das ‚gute Zusammenleben‘?

Riedenburger Dinkel Malz (Alnatura). Privatbesitz, 2019.

Nachdem Isabel* ihren Sohn zur Welt brachte, trank sie jeden Tag eine Flasche Malzbier, um ihre Milchbildung anzuregen. Neben Malzbier hat sie Maisnudeln, Polenta, Kartoffeln, Nussmus und einige natürliche Nahrungsergänzungen wie Maca Pulver zu sich genommen. Ihre Begründung: „Es ist für den Körper der Mutter eine ganz schöne Leistung, Milch zu bilden und manche Kinder sind sehr hungrig.“

Wie gelingt Elternwerden in der Leistungsgesellschaft?

* Bei dem Namen handelt es sich um ein Pseudonym.

Sofa. Altenheim in Baden-Württemberg, 2019.

Dieses Sofa ist Teil einer Sitzecke in einem Altenheim. Diese bietet für die Bewohner*innen viele Möglichkeiten: Sie können dort zur Ruhe kommen, lesen oder die Aussicht genießen. Eine Art erweitertes Wohnzimmer. Sie ist aber auch ein öffentlicher Raum. Die Möbel und die Einrichtung sind vom Heim gestellt und nicht nur geladene Gäste dürfen hier Platz nehmen.

Wie lebt es sich, nachdem man die eigenen vier Wände für immer verlassen hat?