August 2022. Unser Projektseminar zur Bioökonomie beginnt. Fünf Bauernhöfe der südbadischen Region bilden das Feld der kulturwissenschaftlichen Forschung, die unsere Dozentinnen für uns vorskizziert haben. Unser Ziel ist es, die Relationen zwischen Bioökonomie und dem Alltag der dort arbeitenden Landwirt:innen zu verstehen. Soweit nichts sehr Exotisches für unsere Disziplin. Doch der Twist ist, dass wir eine Forschungsstrategie anwenden wollen, in welcher nicht wir, sondern vor allem die Akteur:innen Ausschnitte ihrer Lebenswelt sammeln: Die sogenannte Photovoice-Methode, die ursprünglich in den Gesundheitswissenschaften entwickelt wurde. Grob gesagt, Photovoice besteht darin, dass die erforschten sozialen Akteur:innen Aspekte ihres Alltags fotografieren – die Bilder werden dann als Gesprächsanstoß für qualitative Interviews verwendet. Dies hat für uns mehrere Vorteile: Die Akteur:innen entscheiden selbst, welche Aspekte ihrer Lebenswelt im Fokus stehen sollen, und wir Forschenden können am Alltag unserer Feldpartner:innen teilhaben ohne immer vor Ort sein zu müssen. Dazu spielen in unserem Projekt Bilder und (interviewte) Stimmen eine doppelte Rolle: Sie sind Forschungsmaterial aber auch die Grundlage für Öffentlichkeitsarbeit. Wir haben nämlich vor, zusätzlich zu analytischen Essays aus Fotografien und Interview-Zitaten auch Instagram-Posts, eine Ausstellung und Plakate zu erstellen.
Im September 2022 startet nach der theoretischen Vorbereitung die Umsetzung: In kleinen Gruppen gehen wir zu den unterschiedlichen Höfen, übergeben den Landwirt:innen eine Kamera und bitten sie, ihren Arbeitsalltag zu fotografieren. Etwas später, im November, treffen wir die Landwirt:innen erneut auf ihren Höfen für ein Interview. Im Laufe des Projekts bleiben wir mit ihnen in Kontakt, per Telefon oder WhatsApp. Da der konkrete Ablauf dieser Interaktionen den Prozess unserer Forschung geprägt hat und unsere Ergebnisse beeinflusst hat, möchte ich einen kurze Reflektion darüber anbieten.
Studierende treffen Landwirt:innen
Wichtig ist vielleicht zuerst, unseren Feldzugang zu kontextualisieren. Unsere Forschungspartner:innen wurden im Vorfeld über den Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband (BLHV) kontaktiert und über das Projekt informiert. Ihre Motivationen für die Teilnahme am Projekt haben sie nicht immer explizit genannt. Ich vermute aber, dass sowohl das Versprechen von einer Kommunikation in der Öffentlichkeit – die etwa als ‚Werbung‘ beziehungsweise als Sichtbarmachung ihre Arbeit interpretiert werden kann – als auch der einfache ‚Wille zu helfen‘ (wie ein Forschungspartner es ausdrückte), sie dazu gebracht haben, zu partizipieren. Doch nichts ist von vornherein gewonnen. Für etwa die Hälfte von uns ist der Kontakt mit den Landwirt:innen reibungslos gelaufen, während bei anderen Forschungsgruppen die Kommunikation zuweilen ins Stocken gerät und in einem Fall sogar komplett abbrach. Hier zeigt sich die Kontingenz und die Reziprozität des Forschungsprozesses: Forschende sind von der zeitlichen Verfügbarkeit sowie dem Engagement der Feldpartner:innen abhängig. Wie in jeder anderen Kommunikationssituation kann es hier auch zu Irritationen kommen. Sie können für uns als Forschende auch wieder als Ausgangspunkt für Erkenntnis dienen: wie In diesem speziellen Fall z.B. als gesteigertes Verständnis für den zeitlichen Druck und die von Jahreszeiten und Wetter abhängigen Verpflichtungen in der Landwirtschaft. Vor Ort zeigte sich oft, dass unsere Interaktionen zwischen den Landwirt:innen und uns, urbanen Studierenden, von dem Unterschied unserer Lebenswelten geprägt waren. Sichtbar wurde diese gegenseitige Entfremdung zum Beispiel daran, wie ein Forschungspartner, der früher Viehzüchter war, zu unserem mitgebrachten veganen Kuchen amüsiert reagierte. Oder daran, wie meine Gruppe beim Hofbesuch die Kettensägen, die unser Forschungspartner im Alltag benutzt, sehen und tragen wollte, und wie wir uns damit inszenierten und fotografieren ließen, wie das folgende Bild (das meine Kommilitonin Ana geschossen hat) zeigt.