Bewohnt, besetzt und neu gebaut

Wilhelmstraße 36

Hinter dem neuen Putz des Hauses verbirgt sich eine bewegte Geschichte. Die Verhältnisse um „Eigentum“ und „Wohnen“ waren hier einst hart umkämpft. Denn das Haus war in den 1980er Jahren ein besetzter Altbau. In der Willi 36 drückte sich der Kampf zwischen Hausbesetzer*innen und Hausbesitzer*innen als Reaktion auf Leerstand, Wohnungsnot und Verteuerung von Wohnraum aus.

Das ursprüngliche Gebäude wurde um 1880 erbaut. Es wohnten dort Menschen mit ganz unterschiedlichen Berufen wie Zugmeister, Lokomotivführer, Zoodirektor oder Professor. Bei den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs blieb das Gebäude unversehrt. Nachbarn beschrieben den Altbau als sehr ähnlich zu den nebenstehenden Hausnummern 32 und 34. Noch in den 1970ern habe dort ein nachbarschaftliches und gemeinschaftliches Wohnklima geherrscht. Im Erdgeschoss befand sich zu dieser Zeit ein Ladengeschäft für elektrische Beleuchtung.

Aktuelles Foto des Hauses Wilhelmstraße 36.
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Ein Haus wird entmietet

1979 wurde das Haus von neuen Eigentümer*innen erworben und anschließend an die Wohnbau Schwarzwald AG weiterverkauft. Sie beabsichtigte, das Haus abzureißen und einen Neubau mit mehr, aber kleineren Wohneinheiten zu errichten. Dadurch sollten die Mieteinnahmen gesteigert werden. Es wurde eine Mietpreiserhöhung von 7,40 DM/qm auf 11,50 DM/qm angestrebt. Den Mieter*innen des Altbaus wurde gekündigt und nach und nach verließen die meisten Bewohner*innen die Willi 36. Zwei Betroffene wehrten sich jedoch vehement und blieben weiter dort wohnen — der letzte von ihnen noch ganze sechs Jahre. Zunächst gab es von der Stadt Freiburg keine Genehmigungen für Abriss und Neubau der Wilhelmstraße 36. Somit stand das Haus, mit Ausnahme der zwei verbliebenen Mieter, offiziell leer. Ab 1981 wurden die leerstehenden Wohnungen der Willi 36 von wechselnden Personen besetzt. Die Hausbesetzer*innen waren Teil einer großen Bewegung in der Stadt, die sich gegen Leerstand und für alternative Freiräume einsetzte. Mit den Besetzungen protestierte sie durch konkrete Aneignungen gegen Wohnungsnot und teure Mieten.

Demos und Konzerte in der Willi 36

Die Willi 36 war ein wichtiger Bestandteil der damaligen autonomen Szene im Sedanviertel. Die Hausbesetzer*innen bauten im Innenhof eine Bühne und eine Werkstatt ein, im Haus entstand ein Café. In diesen Räumen veranstalteten sie Vorträge, Diskussionen und Konzerte. Zudem fanden regelmäßig Demonstrationen statt, bei denen die Bewohner*innen ihre Solidarität mit anderen Besetzungen ausdrückten.

Die Willi 36 war nicht das einzige Haus in Freiburg, das in dieser Zeit besetzt war. Leerstände unter anderem in der Wilhelmstraße 8, der Belfortstraße 21 und 28, der Erbprinzenstraße 20 oder der Moltkestraße 27 waren damals auf die selbe Art und Weise beendet worden. Die Möglichkeit des mietfreien Wohnens zog auch weniger politisch motivierte Personen an. Zeitzeug*innen zufolge verlor die Hausbesetzung mit der Zeit an politischem Charakter. Sie berichten auch von Interessenskonflikten zwischen den Besetzer*innen und zähen Diskussionen zur Selbstpositionierung und zu politischen Aktionen. Neben dem politischen Statement, mietfrei und selbstbestimmt zu wohnen, wurde die Willi 36 auch vermehrt für nächtliche Konzerte genutzt. Dadurch fühlten sich Nachbar*innen, welche die Besetzung zuerst unterstützt hatten, zunehmend gestört.

Die Räumung

Zeitgleich versuchte die Wohnbau Schwarzwald AG mit rechtlichen Mitteln Druck aufzubauen und eine Genehmigung der Räumung des Hauses einzuklagen. Aus Angst vor Ausschreitungen entschied sich die Stadt Freiburg zunächst gegen eine Räumung. Der festgefahrene Rechtsstreit kam 1987 vor den Verwaltungsgerichtshof in Mannheim. Nach dem juristischen Sieg der Wohnbau Schwarzwald AG wurde die Willi 36 am 12. Juni 1987 unter großem Polizeiaufgebot geräumt. In der Folge wurde das Haus abgerissen und neu gebaut. Heute gehört es mehreren Eigentümer*innen, welche die Wohnungen meist — teilweise auch als Ferienappartements — vermieten.