„Akteur*innen bewerten das Handeln des Staates als unzureichend und fordern eine Transformation des bestehenden Rechtssystems.“ 1

Teresa Toth

 Der Fall Marianne Bachmeier

Über die Legitimation von Selbstjustiz

Am Montag, den 05. Mai 1980, entführt Klaus Grabowski die 7-jährige Anna Bachmeier und ermordet sie. Er erhält eine Anzeige und kommt vor Gericht – doch seine Strafe wird er niemals absitzen. Denn am dritten Verhandlungstag schmuggelt Marianne Bachmeier, die Mutter der getöteten Anna, eine Pistole in den Gerichtssaal und schießt Grabowski mehrmals in den Rücken. Er stirbt noch vor Ort.

Die Tat von Marianne Bachmeier erfuhr großes mediales Aufsehen und Akteur*innen diskutieren noch bis heute in sozialen Netzwerken, ob Bachmeier richtig handelte. Durch Zufall stieß ich über Instagram auf einen Beitrag, welcher Marianne Bachmeier als vermeintlich starke und mutige Frau darstellte. Unter dem Beitrag sammelten sich zahlreiche Kommentare, in denen Nutzer*innen kundgaben, dass sie Verständnis für Bachmeiers Selbstjustiz hätten. Dies machte mich neugierig: Warum bewerten Akteur*innen ein und dieselbe Straftat – nämlich Mord – so unterschiedlich? Grabowski gilt als kaltblütiger Mörder, während Marianne Bachmeier als Heldin gefeiert wird.

Daher entschied ich mich, in meinem Forschungsprojekt zu untersuchen, wie Befürworter*innen Selbstjustiz im Fall von Marianne Bachmeier im medialen Diskurs rechtfertigen. Hierfür nahm ich eine Vielzahl von Kommentaren unter Beiträgen auf Instagram und YouTube in den Blick und arbeitete drei grundlegende Legitimationsmuster heraus. Bei allen drei Kategorien fiel auf, dass die Legitimierung vigilanter Gewalt in Zusammenhang mit staatlichen Institutionen steht: Diese besitzen zwar das Gewaltmonopol, seien laut den Akteur*innen jedoch nicht in der Lage, eine angemessene Strafe zu verhängen und Gerechtigkeit herzustellen.

1 Toth, Teresa: Der Fall Marianne Bachmeier. Über die Legitimation von Selbstjustiz. In: Sieferle, Barbara (Hg.): Strafen. Kulturanthropologische Perspektiven (= Freiburger Studien zur Kulturanthropologie, 5). Münster 2021, S.24-35, S.24.

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